Ein vorderer Kreuzbandriss ist eine der häufigsten Verletzungen im Bereich des Kniegelenks. Wird er operiert, ist der Kreuzbandersatz, bei dem das gerissene Band durch eine körpereigene Sehne ersetzt wird, noch immer der Goldstandard. Doch es gibt auch kreuzbanderhaltende OP-Techniken, die in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus gerückt sind. Die Vorteile sind offensichtlich, doch wie gut ist das Ergebnis?
Inhalt
Was heißt Kreuzbanderhalt?
Anders als beim Kreuzbandersatz geht es beim Kreuzbanderhalt darum, das gerissene Band zu reparieren und nicht durch eine Sehne zu ersetzen. Unter Experten wird diese Vorgehensweise noch immer kontrovers diskutiert. Ergebnisse aus älteren Studien waren bisher nicht überzeugend und die geringe Erfolgsquote machte den Kreuzbanderhalt nicht zu einer echten Alternative.
In jüngerer Zeit hat sich das wissenschaftliche Interesse jedoch wieder mehr in Richtung Kreuzbanderhalt verlagert. Denn die biomechanischen Vorteile eines originären Kreuzbandes überwiegen denen einer Sehne nach wie vor. Darüber hinaus wurden neue arthroskopische Operationstechniken sowie moderne Implantate und biologische Hilfsmittel entwickelt, die den früheren offenen chirurgischen Techniken und Vorgehensweisen deutlich überlegen sind.
Nicht zuletzt hat auch ein besseres Verständnis für die verschiedenen Arten von Kreuzbandrissen dazu beigetragen, dass der Kreuzbanderhalt wieder vermehrt diskutiert wird. So ist das Heilungspotenzial bei einer proximalen Ruptur (nahe am Oberschenkel) mit guter Gewebequalität höher als bei anderen Rupturtypen. Mittelfristige Nachuntersuchungen zeigen hier zufriedenstellende Ergebnisse hinsichtlich Patientenzufriedenheit, Stabilität und Rückkehr zum Sport.
Inzwischen weiß man, dass eine strikte Patientenselektion wesentlich für den Erfolg einer kreuzbanderhaltenden Operation. Hier spielen die akute Versorgung und die Art der Kreuzbandrisses (insbesondere die Lokalisation) sowie die Gewebequalität eine Rolle.
Übersetzt heißt das: Je schneller der Kreuzbandriss versorgt wird und je besser die Qualität des Gewebes ist, desto besser sind die Heilungschancen beim Kreuzbanderhalt.
Klassifizierung der kreuzbanderhaltenden Methoden
Grundsätzlich gibt es drei verschiedene Herangehensweisen für den vorderen Kreuzbanderhalt: die Reparatur mittels Naht, Refixation / Reinsertion und Remnant Preservation.
- Reparatur mittels Naht: Bei dieser Technik wird das gerissene Kreuzband wieder zusammengenäht, um eine Selbstheilung des Bandes zu ermöglichen. Diese Methode eignet sich besonders für proximale Risse, bei denen das Band nahe seiner femoralen (Oberschenkelknochen) Verankerung gerissen ist.[1]van der List JP, DiFelice GS. Preservation of the Anterior Cruciate Ligament: A Treatment Algorithm Based on Tear Location and Tissue Quality. Am J Orthop (Belle Mead NJ). 2016 … Continue reading
- Refixation / Reinsertion: Hier wird das gerissene Kreuzband an seiner ursprünglichen Stelle wieder befestigt. Dafür werden verschiedene Fixierungsmethoden wie Knochenkanäle, Anker oder Schrauben eingesetzt. Diese Technik kann sowohl bei proximalen als auch bei distalen Rissen angewendet werden, abhängig von der Qualität des verbleibenden Gewebes.
- Remnant Preservation: Diese Technik wird bei einer Kreuzbandrekonstruktion angewendet, bei der die verbleibenden Teile des gerissenen Bandes erhalten bleiben, um die Heilung des Transplantats, die Zellproliferation, die Revaskularisation und die Regeneration der propriozeptiven Organe im rekonstruierten Kreuzband zu fördern. Allerdings kann diese Methode Komplikationen wie Cyclops-Läsionen, Impingement und Extensionsverlust verursachen.[2]Singh I, Singh A. Remnant-Preserving Anterior Cruciate Ligament Reconstruction: Remnant Envelope Technique. Arthrosc Tech. 2020 Oct 24;9(11):e1805-e1812. doi: 10.1016/j.eats.2020.08.002. PMID: … Continue reading
Bekannte kreuzbanderhaltende OP-Techniken
In der Praxis gibt es bereits eine Reihe von kreuzbanderhaltenden OP-Techniken, die von erfahrenen Chirurgen durchgeführt werden.
Dynamische intraligamentäre Stabilisierung (DIS) mittels Ligamys
Die DIS mit Ligamys zielt darauf ab, das gerissene Kreuzband zu erhalten und seine natürliche Heilung zu fördern. Dafür kommt das Ligamys-System zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus mechanischer Stabilisierung und biologischer Unterstützung.
Das Ligamys-System besteht aus einem federbelasteten Implantat, das jeweils am Oberschenkel- und Scheinbeinknochen verankert wird. Durch diese kontrollierte dynamische Stabilisierung wird das gerissene Kreuzband entlastet, um heilen zu können.
Vorteile:
- minimalinvasive Operation (Arthroskopie)
- reduziertes Infektionsrisiko
- schnellere Rehabilitation
- natürliche Anatomie des Kniegelenks bleibt erhalten
- bessere Kniefunktion und geringeres Arthrose-Risiko möglich
Wann geeignet?
- Operation erfolgt innerhalb von drei Wochen nach Unfall
- möglichst proximale Ruptur
- möglichst intakter tibialer VKB-Stumpf und möglichst intakter Synovialschlauch
VKB Refixation mittels Anker
Bei einer Refixation mittels Anker wird das gerissene Kreuzband an seiner ursprünglichen Position im Kniegelenk befestigt. Hierbei wird die sogenannte Mikrofrakturierung mit einer zielgerichteten Anker Refixation kombiniert. Bei der Mikrofrakturierung werden kleine Löcher in die Knochenoberfläche gebohrt. Dadurch soll die körpereigene Heilungsreaktion stimuliert und die Bildung von neuem Faserknorpel angeregt werden.
Vorteile:
- minimalinvasiver, arthroskopischer Eingriff
- Anker aus biologisch abbaubaren Materialien, dadurch keine dauerhafte Fremdstruktur im Knie
- schnellere Rehabilitation
- Erhalt des natürlichen Kreuzbandes
- geringeres Risiko von Langzeitkomplikationen wie Arthrose
Wann geeignet?
- akute proximale vordere Kreuzbandruptur
- Unfall ist weniger als sechs Wochen her
VKB-Reinsertion mit Internal Brace
Die VKB-Reinsertion mit Internal Brace kombiniert die Wiederbefestigung des gerissenen Bandes an seiner ursprünglichen Position im Kniegelenk (Reinsertion) mit der Verwendung eines internen Stützbandes (Internal Brace), um die Heilung und Stabilität des Knies zu unterstützen.
Bei dieser OP-Technik wird das gerissene VKB zunächst arthroskopisch wieder an seinem ursprünglichen Ansatzpunkt am Knochen befestigt. Anschließend wird ein interne Schienung, häufig aus starken synthetischen Fasern, parallel zum gerissenen Band eingesetzt. Dieses Stützband dient als temporäre Verstärkung, um das gerissene VKB während des Heilungsprozesses zu unterstützen und das Kniegelenk zu stabilisieren.
Vorteile:
- arthroskopischer, minimalinvasiver Eingriff
- schnellere Rehabilitation durch interne Schienung mittels Internal Braceä
- Erhalt des natürlichen Kreuzbandes
- geringeres Risiko von Langzeitkomplikationen wie Arthrose
Wann geeignet?
- akuter femoraler Ausriss des VKB mit gut erhaltenem Stumpf
- schnelle OP ist möglich
Remnant-Preserving
Im Gegensatz zu anderen Verfahren zielt das Remnant-Preserving darauf ab, den verbleibenden, noch intakten Teil des vorderen Kreuzbandes (sogenanntes Remnant) zu erhalten und in den Heilungsprozess einzubeziehen. Denn das Remnant enthält wichtige Blutgefäße und Nerven, die für die Durchblutung, Ernährung und Sensibilität des VKB wichtig sind.
Das verbleibende Kreuzbandgewebe wird genutzt, um die Heilung und Regeneration des gerissenen Bandes zu unterstützen. In der Operation entfernt der Chirurg nur die beschädigten Teile des VKB und lässt das Remnant intakt. Anschließend wird das Transplantat – entweder eine körpereigene Sehne oder ein synthetisches Material – eingesetzt und mit dem Remnant verbunden. Dies ermöglicht eine bessere Integration des Transplantats und eine stabilere Verankerung im Kniegelenk.
Genau genommen ist das Remnant-Preserving somit eine Kombination aus Kreuzbanderhalt und Kreuzbandersatz.
Vorteile:
- verbleibendes Kreuzbandgewebe wird für eine bessere Heilung genutzt
- Wichtige Zellen und Strukturen bleiben für die Umbauprozesse des Transplantats erhalten
- schnellere Rehabilitation
Wann geeignet?
- Rupturen, bei denen das Remnant stabil, gut durchblutet und gut innerviert ist
- Jüngere Patienten mit einer guten Heilungsfähigkeit
Healing Response
Die Healing-Response-Technik zielt darauf ab, die natürliche Heilungsfähigkeit des Körpers zu nutzen und zu fördern, um das gerissene Band wiederherzustellen und die Funktion des Kniegelenks zu verbessern. Die Healing-Response-Technik wird häufig bei partiellen VKB-Rissen oder bei Rissen mit gut erhaltenen Remnants eingesetzt, bei denen eine vollständige Rekonstruktion des Bandes möglicherweise nicht erforderlich ist.
Der Chirurg führt zunächst eine sorgfältige Beurteilung des Bandes und der umgebenden Strukturen durch, um den genauen Umfang der Verletzung und das Potenzial für eine erfolgreiche Heilung zu bestimmen. Anschließend werden gezielte Mikrofrakturierungen an der Knochenoberfläche unter dem beschädigten Bandbereich durchgeführt. Diese Mikrofrakturierungen öffnen den Knochenmarkraum und ermöglichen den Austritt von Stammzellen und Wachstumsfaktoren in den verletzten Bereich, was die Heilung und Regeneration des VKB unterstützt.
Vorteile:
- natürliche Blutgefäße und Nervenstrukturen des VKB bleiben erhalten
- wahrscheinlich verbesserte Gelenkfunktion nach der Operation
- kürzere Rehabilitationszeit und schnellerer Return to Sports
Wann geeignet?
- partielle VKB-Risse
- Risse mit gut erhaltenen Remnants (gute Durchblutung und wichtige Nervenstrukturen vorhanden)
- jüngere Patienten mit guter Heilungsfähigkeit
Kreuzbanderhaltende Techniken nicht für jeden Patienten eine Option
Kreuzbanderhaltende OP-Methoden bieten eine vielversprechende Alternative zum klassischen Kreuzbandersatz. Sie sind jedoch nicht für alle Patienten geeignet und erfordern eine sorgfältige Auswahl der Patienten sowie eine genaue Kenntnis der verschiedenen Techniken und deren Anwendung.
Bei richtiger Indikation und Durchführung können kreuzbanderhaltende Operationen aber zu durchaus zufriedenstellenden Ergebnissen führen und dazu beitragen, die Funktion des Kniegelenks zu erhalten oder wiederherzustellen.
Es ist wichtig, dass du gemeinsam mit deinem Arzt die beste Behandlung für deinen individuellen Fall abwägst und ihr dabei auch die möglichen Risiken und Komplikationen berücksichtigt.
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Quellen und weiterführende Links[+]
↑1 | van der List JP, DiFelice GS. Preservation of the Anterior Cruciate Ligament: A Treatment Algorithm Based on Tear Location and Tissue Quality. Am J Orthop (Belle Mead NJ). 2016 Nov/Dec;45(7):E393-E405. PMID: 28005092. |
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↑2 | Singh I, Singh A. Remnant-Preserving Anterior Cruciate Ligament Reconstruction: Remnant Envelope Technique. Arthrosc Tech. 2020 Oct 24;9(11):e1805-e1812. doi: 10.1016/j.eats.2020.08.002. PMID: 33294344; PMCID: PMC7695627. |