Die Muskelatrophie ist ein häufiges Problem beim Kreuzbandriss. Besonders die Oberschenkelmuskulatur leidet durch die Immobilität vor beziehungsweise nach der Kreuzband-OP und geht oft deutlich zurück.
Je besser deine Ausgangslage also vor der Kreuzband-OP ist, desto weniger Muskelmasse verlierst du insgesamt und desto schneller wirst du wieder fit. Für die Prärehabilitation bedeutet das: So viel Muskelmasse aufbauen beziehungsweise so wenig Muskelmasse verlieren wie möglich.
Und genau hier stellst du dir vielleicht die Frage, wie du das am besten machst. Hilft zum Beispiel EMS zur Atrophieprophylaxe vor der Kreuzband-OP oder ist aktives Training doch die bessere Alternative?
Inhalt
Was ist EMS?
EMS ist die Abkürzung für Elektromyostimulation oder elektrische Muskelstimulation. Dabei handelt es sich um eine Methode, bei der niederfrequenter Reizstrom verwendet wird, um deine Muskeln zu stimulieren und so das Wachstum und die Regenerierung zu fördern.
Die Anwendung von EMS nutzt Elektroden zur Übertragung elektrischer Ströme auf die Hautoberfläche, mit primärem Fokus auf die Muskelzellen. Elektrische Signale simulieren die Befehle des Gehirns, die für das Auslösen von Muskelkontraktionen erforderlich sind. Sie bewirken die Kontraktion der Muskeln, als ob eine willentliche Aktivierung stattfinden würde.
Beim EMS kannst du ein Kribbeln oder Pulsieren spüren, gefolgt von einer deutlichen Muskelkontraktion. Du solltest es als eine rhythmische, manchmal intensive Anspannung und Entspannung des Muskels wahrnehmen. Diese Kontraktionen können ungewohnt und deutlich spürbar sein, sollten aber niemals Schmerz verursachen.
Damit sollen der Stoffwechsel der Muskeln stimuliert und die Durchblutung verbessert werden. Das macht es generell interessant für immobilisierte Patienten zur Atrophieprophylaxe.
Was ist TENS?
Neben EMS gibt es auch die sogenannte TENS-Therapie. TENS steht für Transkutane Elektrische Nervenstimulation und ist eine nicht-medikamentöse Schmerztherapie. TENS verwendet elektrischen Strom, um Schmerzen zu lindern und den Heilungsprozess zu fördern.
Patienten beschreiben oft ein sanftes Kribbeln, Summen oder Klopfen auf der Haut oberhalb des schmerzenden Bereichs. Viele empfinden fast sofortige Schmerzlinderung während und nach der Anwendung von TENS. Die Intensität sollte so eingestellt sein, dass sie wohltuend ist, ohne jedoch unangenehm oder schmerzhaft zu wirken.
TENS zur Schmerzlinderung und Schwellungsreduktion
Im Vergleich zu EMS konzentriert sich TENS mehr auf das Nervensystem. Die elektrischen Impulse, die dem Körper zugeführt werden, beeinflussen die Funktion der Nerven. Eine der zu Grunde liegenden Theorien beruht auf dem Gate-Control-Konzept des Schmerzes: Nicht alle Nervensignale können gleichzeitig an das Gehirn weitergeleitet werden.
Die von den TENS-Geräten gesendeten elektrischen Impulse aktivieren selektiv die schnelleren Aβ-Nervenfasern, welche die Schmerzsignale über den Rückenmarksstrang zum Gehirn leiten. Die Stimulation dieser Nervenfasern hilft, das Tor zu schließen, wodurch die Weiterleitung der Schmerzsignale reduziert wird und das Schmerzempfinden sinkt.
Neben der Schmerzlinderung kann TENS auch bei der Schwellungsreduktion helfen. Die Reduktion von Schwellungen durch TENS lässt sich auf den verbesserten Lymphfluss und die durch die Stimulation bedingte erhöhte Blutzirkulation zurückführen. Eine erhöhte Zirkulation hilft, entzündliche Substanzen und Ödeme effizienter aus dem geschwollenen Areal abzutransportieren.
Für die Atrophieprophylaxe spielt TENS also höchstens eine indirekte Rolle. So kann die Therapie bei starken Schmerzen und Schwellungen sinnvoll sein, um eine aktives Training überhaupt erst zu ermöglichen.
In diesen Fällen sind EMS und TENS nicht erlaubt
Trotz ihrer positiven Eigenschaften dürfen EMS und TENS in manchen Fällen nicht eingesetzt werden.
Absolute Kontraindikationen sind:
- Herzschrittmacher oder implantierbare Defibrillatoren (ICD): EMS und TENS können die Funktion dieser Geräte stören.
- Schwangerschaft: Die Anwendung von EMS oder TENS ist über dem Bauchbereich oder dem unteren Rücken während der gesamten Schwangerschaft zu vermeiden, um jegliches Risiko für den Fötus auszuschließen.
- Epilepsie: Personen mit dieser Erkrankung sollten EMS und TENS nur unter strikter medizinischer Aufsicht verwenden, um einen epileptischen Anfall nicht auszulösen.
- Thrombose bzw. Thrombophlebitis: EMS und TENS könnten theoretisch Blutgerinnsel lösen, was zu einer lebensbedrohlichen Embolie führen könnte.
Treffen eine oder mehrere dieser absoluten Kontraindikationen auf dich zu, dürfen EMS oder TENS bei dir nicht durchgeführt werden.
Eventuelle Kontraindikationen sind:
- Hauterkrankungen oder -schäden: Eine Elektrostimulation sollte nicht auf Hautpartien mit Wunden, Ausschlägen oder Krebserkrankungen angewendet werden.
- Herzerkrankungen: Bei Personen mit Herzerkrankungen sollte die Anwendung von EMS/TENS nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen, da die Stromimpulse potenziell das Herzgewebe beeinflussen könnten.
- Metallimplantate oder -schrauben im Stimulationbereich: Die Elektrostimulation kann die Metalleigenschaften verändern und zu Hautirritationen oder anderen unerwünschten Effekten führen.
- Ernsthaft erkrankte oder degenerierte Nerven: Bei Patienten mit schweren Nervenschädigungen könnte EMS oder TENS unwirksam sein oder unerwünschte Sensationen verursachen.
Treffen eine oder mehrere dieser Kontraindikationen auf dich zu, solltest du erst mit deinem Arzt Rücksprache halten, bevor du dich mit Strom behandeln lässt.
Besser aktiv trainieren statt Elektrostimulation
Eine adäquate Atrophieprophylaxe vor der Kreuzband-OP ist wichtig – das ist klar. Während EMS hierbei eine komplementäre Rolle spielen kann, ist es unterm Strich besser, wenn du selbst aktiv wirst.
Denn aktives Training impliziert willentlich gesteuerte und koordinierte Muskelkontraktionen. Dies beinhaltet nicht nur die Aktivierung von Einzelmuskeln, sondern erfordert zusätzlich eine synchronisierte Zusammenarbeit verschiedener Muskelgruppen und Gelenke.
Damit förderst du nicht nur deine Kraft, sondern verbesserst auch Muskelkoordination, Flexibilität, Knochenstärke und die allgemeine Ausdauer. Jeder Muskel und jede Muskelgruppe reagiert spezifisch auf das Training, was zu einer balancierten Muskulatur und zu einem optimalen Bewegungsablauf beiträgt. Diese koordinierten Bewegungen sind wiederum entscheidend für Mobilität und Stabilität im Alltag und können nicht vollständig durch EMS simuliert werden.
EMS ist dann sinnvoll, wenn aktives Training durch Schmerzen oder Lähmungen unmöglich ist. Denn die elektrische Impulse erzeugen in jedem Fall eine Kontraktion der Muskulatur, fördern die Durchblutung und können den Stoffwechsel aufrechterhalten. Allerdings ist die durch EMS induzierte Muskelkontraktion vergleichsweise gering und erreicht nicht das Niveau aktiver Muskelarbeit. Daher kann EMS alleine eine Atrophie nicht vollständig verhindern.
Wieder fit nach Kreuzbandriss
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Die Zeit vor der OP richtig nutzen
Hast du starke Schmerzen und ein dick geschwollenes Knie, kann TENS durchaus sinnvoll sein, um diese Probleme zu lindern. Sobald dein Knie zumindest eingeschränkt belastbar ist, solltest du aktiv am Muskelerhalt arbeiten.
Das bedeutet, dass du im schmerzfreien Bereich bewegst und dein Knie nicht überforderst. Wichtig ist im ersten Schritt vor allem, dass du deine Muskeln, Sehnen und Bänder belastest. Das heißt, du musst bei einer Kniebeuge nicht tief in die Hocke gehen. Wenn du ab 80 Grad Beugung Schmerzen hast, dann bewege nur so weit.
Leider gibt es keine aussagekräftigen Studien, die den Effekt von EMS vor einer Operation untersucht haben. Generell solltest du aber ein aktives Training immer bevorzugen und bei Bedarf an den individuellen Zustand deines Knies anpassen. Die Ergänzung durch EMS kann dabei als zusätzliche Maßnahme sinnvoll sein, ist aber keine Erfolgsgarantie.
Und nach der OP?
Auch für die Reha nach der Kreuzband-OP gilt: Am besten bist du selbst aktiv. Denn nur so lernt dein Körper, die richtigen Muster zu verknüpfen, um wieder zurück in Sport und Alltag zu kommen.
Nicht wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass EMS nach der Kreuzband-OP in Kombination mit einem aktiven Übungsprogramm die Muskelanspannung verbessern kann. Wenn du die Möglichkeit hast, kannst du die Elektrostimulation gerne nutzen. Alleiniges Instrument vor oder nach der Kreuzband-OP sollte sie aber nicht sein, um Muskulatur zu erhalten oder aufzubauen.