Die Kreuzbandrekonstruktion ist eine der häufigsten orthopädischen Operationen. Dabei wird eine körpereigene Sehne als Kreuzbandersatz genutzt. Welche Sehne für die Kreuzbandplastik infrage kommt und welche weiteren Möglichkeiten es gibt, erfährst du in diesem Beitrag.
Inhalt
Warum brauchst du eine andere Sehne für die Kreuzbandplastik?
Ein gerissenes vorderes Kreuzband (VKB) wächst in der Regel nicht von allein wieder zusammen, da es nur schlecht durchblutet ist.
Nur bei einem angerissenen Band besteht die Möglichkeit, dass das Kreuzband wieder zu einer stabilen Struktur zusammenwächst. Da sich das VKB außerdem nur in bestimmten Fällen für eine Refixation (d.h. das Zusammennähen) eignet, wird das kaputte Band durch ein Sehnentransplantat ersetzt.
Dafür entnimmt der Operateur eine körpereigene Sehne und setzt diese als neues Kreuzband ein. Diese sogenannte Kreuzbandplastik soll die mechanische Funktion des zerstörten Kreuzbandes ersetzen.
Prinzipiell kannst du auch ohne Kreuzband leben. Gerade bei jungen und aktiven Menschen wird jedoch zur operativen Rekonstruktion geraten, da die Kreuzbänder wichtige Stabilisatoren im Knie sind. Willst du trotzdem mehr zur konservativen Therapie, lies meinen Beitrag zu Kreuzbandriss konservativ behandeln.
Kreuzbandersatz durch Sehnentransplantation
Über die Jahre haben Wissenschaftler und Ärzte bereits verschiedenen Möglichkeiten und Sehnen als Kreuzbandersatz getestet. Dabei haben sie auch die Eigenschaften einer idealen Kreuzbandplastik zusammengefasst.
Der perfekte Kreuzbandersatz
Ein ideales Transplantat besitzt die notwendigen Eigenschaften, um von der Implantation über die Rehabilitation und Rückkehr zum Sport bis hin zur langfristigen Funktionalität ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. Darüber hinaus ist es ein biologisches Match des Patienten und verfügt über die biomechanische Stärke und Stabilität, um eine normale Kniefunktion gewährleisten zu können.
Der perfekte Kreuzbandersatz ist daneben einfach zu fixieren, heilt schnell und erlaubt eine aggressive Kreuzband-Reha ohne Einschränkungen. Nicht zuletzt sollte das Transplantat keine Komplikationen oder Entnahmemorbidität mit sich bringen.
Kurzum sollte der perfekte Kreuzbandersatz also folgende Eigenschaften haben:
- biologisches Match mit dem Patienten
- einfache Fixation
- schnelle Heilung
- Möglichkeit einer aktiven und schnellen Reha ohne Einschränkungen
- keine Komplikationen oder Entnahmemorbidität
- biomechanische Kraft und Stabilität des ursprünglichen Kreuzbandes (oder besser)
Die Wahl des richtigen Transplantates
Weil kein Transplantat alle diese Eigenschaften vollumfänglich erfüllen kann, mussten Sehnen gesucht werden, die diesen Eigenschaften zumindest nahe kommen. Über die Jahre haben sich hier drei Sehnen für die Kreuzbandplastik bewährt:
- Semitendinosussehne (mit oder ohne Gracilissehne)
- Patellarsehne
- Quadrizepssehne
Vor allem die Reißfestigkeit ist ein wichtiges Kriterium für die Transplantatwahl bei der Kreuzband-OP. Im Idealfall ist die entnommene Sehne weitaus stärker als das ursprüngliche Kreuzband, da die Plastik im postoperativen Verlauf deutlich an Reißfestigkeit verliert. Alle drei der genannten Sehnen erfüllen diese Voraussetzung.
Semitendinosussehne
Die Semitendinosussehne, auch Semi-Sehne, auf der Oberschenkelrückseite gilt weltweit als Goldstandard bei einfachen Kreuzbandrissen und wird bei rund 60 Prozent der Eingriffe genutzt.
Sie wird nach der Entnahme vierfach gefaltet und zusammengenäht, damit eine stabile Kreuzbandplastik entsteht. Bei der Entnahme sollte die Sehne deshalb mindestens 25cm haben, davon werden etwa 16cm genutzt.
Ist dann noch ausreichend Sehnenmaterial da, kann sie auch fünf- oder sechsmal gefaltet werden, um einen größeren Durchmesser zu erhalten und damit noch stabiler zu sein. Ist hingegen zu wenig Sehne vorhanden, dass sie sich nicht einmal vierfach falten lässt, entnimmt der Operateur für gewöhnlich noch die danebenliegende Gracilissehne.
Der Vorteil der Semi-Sehne sind die schnelle Rehabilitation und weniger Beschwerden durch die Sehnenentnahme. Denn für diese muss dein Arzt nur einen kleinen Schnitt schräg unterhalb deines Knies machen. Auch die Wahrscheinlichkeit langfristiger Knieschmerzen ist mit der Semitendinosussehne geringer.
Nachteile gibt es dennoch für dieses Transplantat. Da es sich bei der Semi-Sehne um ein Weichteilpräparat handelt (d.h. es wird ohne Knochenblöcke entnommen), dauert die Einheilung länger. Bei über 90° Beugung kommt es außerdem zu einer Schwäche der Hamstrings. Allerdings kannst du das im Verlauf der Kreuzband-Reha durch eine Hypertrophie des M. semimembranosus kompensieren.
Ein weiterer Nachteil der Sehne ist seine Belastungsfähigkeit. Gerade für extreme Belastungen und Stop-and-Go-Sportarten ist die Semi-Sehne nicht ideal und das Risiko eines erneuten Risses am höchsten. Als Sehne für die Kreuzbandplastik kommt sie außerdem meist nicht infrage, wenn du noch andere Knieverletzungen wie einen Innenbandriss hast.
Patellarsehne
Nach der Semitendinosussehne ist die Patellarsehne die zweithäufigste Sehne für die Kreuzbandplastik.
Sie liegt unter der Kniescheibe, ist sehr kurz und reicht nur bis zum oberen Unterschenkelkopf. Die Patellarsehne wird als BTB-Transplantat entnommen (= bone tendon bone, Knochen-Sehne-Knochen). Das heißt, es muss neben der Sehne jeweils ein Stück Knochen an den Enden mit entfernt werden.
Die Knochenstücke werden in die Bohrkanäle press-fit oder mit Schrauben fixiert und heilen wie ein Knochenbruch. Dadurch erlaubt der Kreuzbandersatz mit der Patellarsehne auch eine aggressivere Rehabilitation. Durch den Kreuzbandersatz mit der Patellarsehne besteht eine höhere Gefahr für eine Quadrizepsschwäche und das seltene Risiko einer Kniescheibenfraktur. Diese lassen sich durch die richtigen OP-Techniken und Kenntnisse des Chirurgen aber vermeiden oder zumindest minimieren.
Ein großer Vorteil der Patellarsehne ist, dass sie extrem stabil und rissfest ist. Sie eignet sich daher besonders für schnelle high-impact Sportarten wie Fußball, Basketball oder Handball. Für Volleyballspieler ist sie hingegen weniger geeignet, da die Entnahme eine größere Narbe auf dem Knie hinterlässt.
Ich selbst habe auch dieses Transplantat und eine relativ unschöne und große Narbe auf meinem Knie. Wie rund die Hälfte der Patienten hatte auch ich deshalb in den ersten ein bis zwei Jahren Schmerzen an der Entnahmestelle und große Probleme beim Knien. Inzwischen geht das zwar besser, wenn du aber zum Beispiel beruflich viel auf deinen Knien arbeiten musst, würde ich dir von der Patellarsehne abraten.
Quadrizepssehne
Etwas im Schatten der Semitendinosus- und der Patellarsehne steht die Quadrizepssehne. Die Sehne ist recht kräftig und verbindet die Kniescheibe mit der Oberschenkelstreckmuskulatur. Meist wird sie als Revisionstransplantat eingesetzt, also wenn frühere Kreuzbandriss Operationen fehlgeschlagen sind. Die Quadrizepssehne kann sowohl als reines Weichteilimplantat als auch mit einem einseitigen Knochenblock entnommen werden.
Im Gegensatz zur Patellarsehne bereitet sie deutliche weniger Schmerzen beim Knien. Zudem ist die Sehne stärker als die Semi-Sehne. Ein Nachteil der Operation ist, dass es zu einem Muskelschwund im M. quadriceps femoris kommen kann. Deshalb ist die Reha auch etwas aufwendiger, da es einige Zeit braucht, bis die Oberschenkelmuskulatur wieder voll funktionsfähig ist.
Kunststoffband
Immer wieder gab es in der Vergangenheit auch den Versuch, ein künstliches Band als Kreuzbandersatz zu implantieren. Aufgrund des hohen Misserfolgs sind Kunststoffbänder allerdings kein gleichwertiger Ersatz verglichen mit den drei bereits genannten Sehnen. Häufigster Grund für den Riss des Kunststoffbandes sind der Abrieb der Kunststofffasern bei Beugung und eine falsche Platzierung.
Neuere synthetische und bioresorbierbare Kunststoffe versprechen inzwischen bessere Ergebnisse als frühere Kunststoffbänder.
Nichtsdestotrotz sind sie nur in ausgewählten Einzelfällen eine Option. Zum einen bei älteren Menschen, deren eigene Sehnen nicht mehr gut genug sind. Zum anderen Sportler, bei denen bereits mehrere Operationen fehlgeschlagen sind.
Autograft vs. Allograft
Im Beitrag habe ich bereits geschrieben, dass für die Kreuzbandplastik in der Regel eine körpereigene Sehne verwendet wird.
Diese sogenannten Autografts haben den Vorteil, dass sie ein exaktes DNA Match mit dir haben, da sie ja aus deinem Körper stammen. Es gibt also keine Immunantwort und das Risiko einer Infektion ist niedriger.
Bei einem Allograft handelt es sich um eine Spendersehne. Dieser kommt eigentlich nur infrage, wenn bereits mehrere Operationen fehlgeschlagen sind oder die Qualität der körpereigenen Sehnen nicht gut genug ist (z.B. ältere, weniger aktive Patienten). Ein Allograft ist kein biologisches Match. Daher ist die Einheilung auch langsamer und die Revaskularisierung (Wiederherstellung der Durchblutung des Gewebes) dauert mit 12 bis 24 Monaten länger.
Vorteil des Allografts ist die Vermeidung der Entnahmemorbidität, allerdings bedeutet das aufgrund der langsameren Einheilung keine schnellere Rückkehr zum Sport. Nachteil ist das höhere Risiko einer Re-Ruptur.
Sehne für die Kreuzbandplastik entscheidet nicht über Erfolg
Letztlich ist die Wahl der Sehne keine Garantie für den OP-Erfolg. Vielmehr kommt es auf die korrekte Rekonstruktion und Implantation des neuen Kreuzbandes an.
Viel wichtiger als das Transplantat ist deshalb die Erfahrung des Operateurs. Die Operationsergebnisse der unterschiedlichen OP-Techniken sind nämlich bei weitem nicht so verschieden wie die Operationsergebnisse zwischen einem erfahrenen und einem unerfahrenen Chirurgen.
Studien[1]Samitier G, Marcano AI, Alentorn-Geli E, Cugat R, Farmer KW, Moser MW. Failure of Anterior Cruciate Ligament Reconstruction. Arch Bone Jt Surg. 2015;3(4):220-240. zeigen, dass rund ein Viertel aller missglückten Operationen auf technische Fehler (z.B. zu steil gesetzte Bohrkanäle oder falsche Fixation) zurückzuführen sind.
Ist das neue Kreuzband falsch positioniert, sind die biomechanischen Kräfte nicht mehr optimal und das Band ist nicht so belastbar wie gewünscht. In der Folge leiert es aus oder reißt erneut.
Wahl des Transplantats für die Reha-Dauer unerheblich
Auch wenn es je nach Sehnentransplantat einige Unterschiede bei der Kreuzband-Reha gibt, ist in allen Fällen eine etwa gleich lange Pause notwendig. Du solltest deinem Knie mindestens 6 bis 9 Monate Zeit geben, bis sich die Strukturen in deinem Bein umorganisiert haben und das neue Band wieder belastbar ist.
Da nicht jeder Chirurg in allen Techniken gleich erfahren ist, solltest du dir bei Bedarf eine Zweitmeinung einholen. In manchen Fällen kannst du vielleicht schon selbst von vornherein ein Transplantat für dich ausschließen. Am besten besprichst du das aber mit deinem behandelnden Arzt. Er kann unter Berücksichtigung deiner persönlichen Lebensumstände, der Anamnese und der MRT-Bilder die richtige Einschätzung geben.
Quellen und weiterführende Links[+]
↑1 | Samitier G, Marcano AI, Alentorn-Geli E, Cugat R, Farmer KW, Moser MW. Failure of Anterior Cruciate Ligament Reconstruction. Arch Bone Jt Surg. 2015;3(4):220-240. |
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