Jeder Sportler fiebert darauf hin: Die Rückkehr zum Sport nach dem Kreuzbandriss. „Wann kann ich wieder meinen Sport machen?“ ist deshalb eine der ersten Fragen, die Patienten ihrem Arzt nach der Diagnose stellen. Die verstrichene Zeit seit der Verletzung beziehungsweise Operation sollte dabei jedoch nicht der entscheidende Faktor für den Return to Sports sein.
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Rückkehr zum Sport ist nicht garantiert
In der Vergangenheit hieß es, dass 90 Prozent der operierten Kreuzband-Patienten wieder dauerhaft zum Sport zurückkehren. Die Realität ist jedoch häufig eine andere. Neue OP-Techniken und der Druck von Patientenseite fördern die aggressive, frühfunktionelle Kreuzband-Reha. Eine schnellere Rückkehr zum Sport ergibt sich dadurch aber meist nicht.
Eine Studie mit Footballspielern[1]Ardern CL, Webster KE, Taylor NF, Feller JA. Return to sport following anterior cruciate ligament reconstruction surgery: a systematic review and meta-analysis of the state of play. Br J Sports Med. … Continue reading zeigte, dass High School- und College-Athleten in den seltensten Fällen in weniger als neun Monaten auf dem Platz stehen. Und diejenigen, die es schaffen, haben ein hohes Risiko für eine Re-Ruptur.
Die Studie mit mehr als 5.000 Probanden, die über einen Zeitraum von vier Jahren untersucht wurden, offenbarte noch eine weitere interessante Zahl. Nur 44 Prozent kehrten zu ihrem ursprünglichen Wettbewerbslevel zurück. Das heißt, mehr als die Hälfte der operierten Sportler schaffen es nicht mehr auf ihr altes Leistungsniveau. Sie können entweder gar nicht mehr spielen oder in einer niedrigeren Klasse.
Du musst deshalb aber nicht sofort den Kopf hängen lassen. Denn es gibt zwei wichtige Faktoren, an denen die erfolgreiche Rückkehr zum Sport oft scheitert.
Daran scheitert die Rückkehr zum Sport meistens
Nach Monaten des rehabilitativen Trainings weißt du, dass die Reha nach Kreuzbandriss ein hochkomplexer Prozess ist. Sie fordert dich sowohl mental als auch körperlich – und genau hier liegt das Problem bei vielen Sportlern.
Sie arbeiten zwar hart in der Reha, sind sich aber nicht darüber im Klaren, wie sehr die Knieverletzung die Psyche und Bewegungsabläufe beim Sport beeinflussen kann.
Angst
Es ist absolut verständlich, nach einem Kreuzbandriss Angst zu haben. Die Angst vor einer erneuten Knieverletzung kann jedoch einen großen negativen Einfluss auf deinen Reha-Fortschritt und dein Training haben.
Ab einem gewissen Punkt musst du diese vorhandene Angst deshalb überwinden. Das dauert zwar seine Zeit, die Mühe lohnt sich aber. Denn so bekommst du wieder Vertrauen in dein Knie und kannst die notwendigen Fortschritte in deiner Kreuzband-Reha machen.
Eine kleine Anekdote dazu: Während meiner Reha war noch ein weiterer Kreuzbandpatient mit mir in der Physiotherapie, der etwa sechs Wochen nach mir operiert wurde. Ich konnte seine Fortschritte also sehr gut mit meinen vergleichen. Bei mir war das Thema Angst tatsächlich recht wenig präsent und ich hatte in der Reha immer großes Vertrauen in mein Knie und meine Therapeuten. (Hier zahlte sich aus, dass ich mich vorab so viel informiert hatte!) Bei ihm war die Angst hingegen so präsent, dass er sich selbst nach vielen Wochen nicht traute, eine einfache Kniebeuge zu machen.
Daran siehst du deutlich, wie problematisch die Angst vor einer erneuten Verletzung für die Reha und den Return to Sports sein kann. Denn wie willst du jemals wieder Sprünge oder Wettkampfsport betreiben, wenn dich die Angst derart ausbremst?
Etwa im dritten bis vierten Monat solltest du dich daher mit deinen Ängsten rund um die Knieverletzung beschäftigen. Auch wenn du zu diesem Zeitpunkt von der tatsächlichen Rückkehr zum Sport noch weit entfernt bist, braucht es einfach eine Weile, dich mental wieder auf den Wettkampf einzustellen.
Fehlendes neuromuskuläres Training
Zusätzlich zur emotionalen Belastung überschätzen viele Sportler sich und ihr Knie.
Neun Monate stellen typischerweise den zeitlichen Maßstab dar, an dem das Verletzungsrisiko relativ gering ist und an dem die meisten wieder in ihr sportartspezifisches Training einsteigen. Das heißt für dich aber nicht, dass du gleich wieder von 0 auch 100 durchstarten kannst, sondern dein Knie erstmal für die Belastungen, die in deinem Sport relevant sind, trainieren musst.
Hier spielt das neuromuskuläre Training eine wichtige Rolle. Dadurch weiß dein Gehirn, wie und wann es welche Muskeln bei bestimmten Bewegungsabläufen ansteuern muss. Das ist wichtig, damit deine Gelenke besser geschützt sind. Denn eine schwache Muskulatur ist eine große Gefahr für dein operiertes Knie.
Mit einem sportartspezifischen Training solltest du die notwendigen Bewegungsmechaniken für die untere Extremität nach und nach mit höherer Intensität und Geschwindigkeit trainieren, um dein Knie wieder an die Wettkampfbedingungen anzupassen. Je nach Sportart können das zum Beispiel Sprints, Stopp-Bewegungen oder Richtungswechsel sein. Auch Sprung- und Landeübungen sind für Kontaktsportarten wichtig.
Viele Sportler haben gerade mit einbeinigen Übungen ihre Schwierigkeiten. Oft aus Angst vor Schmerzen oder Verletzungen. Auch deshalb solltest du nach vier bis sechs Monaten einbeinige Übungen in dein Reha-Programm mit aufnehmen und vor der Rückkehr zum Sport gezielt trainieren.
Zeit ist nicht der entscheidende Faktor
Neun Monate sind die goldene Zahl, die gerne genannt wird, wenn es um die Rückkehr zum Sport geht. Jeder Monat früher erhöht das Risiko einer erneuten Verletzung. Denn die biologischen Umbauprozesse von der toten Sehne zum neuen Kreuzband brauchen einfach ihre Zeit.
Ob diese neun Monate ausreichend sind, ist immer individuell und abhängig von der genauen Verletzung. Für dich sollte die verstrichene Zeit aber nicht der entscheidende Maßstab für die Rückkehr zum Sport sein. Denn am Ende kommt es in erster Linie auf die dynamische Funktionsfähigkeit deines Knies und dessen neuromuskulärer Kontrolle unter sportartspezifischen Belastungen an.
Doch wer überprüft das?
Während kein Profisportler in den Wettkampf zurückkehrt, ohne entsprechende Leistungstests bestanden zu haben, sieht das bei Hobbysportlern ganz anders aus. Das Go des Arztes und ein gutes Gefühl reichen. Doch genau hier liegt die Krux.
Viele Kreuzbandpatienten überschätzen ihre Leistungsfähigkeit nach der Kreuzband-OP. Ein gutes Gefühl und keine Schmerzen sind einfach kein ausreichender Indikator für die sichere Rückkehr zum Sport. Eine realistischere Einschätzung geben funktionelle Tests.
Funktionelle Tests vor der Rückkehr zum Sport
Theoretisch kann jede funktionelle Bewegung, die bei deiner jeweiligen Sportart auftaucht, als Test für den Return to Sports (RTS) herhalten. In der Praxis existieren einige klar definierte RTS-Tests, die in der wissenschaftlichen Literatur gut belegt sind. Auch der sogenannte Functional Movement Screen ist eine gute Grundlage, um mögliche Schwachstellen nach der Knieverletzung zu identifizieren.
Sprungtests
Sprungtests sind klassische Leistungsmesser für die Rückkehr zum Sport. Ziel ist es, bei allen Tests eine Beinsymmetrie zwischen operierter und gesunder Seite von mehr als 90-95 Prozent zu erreichen.
Typische Sprungtests sind:
- Single-Hop-Test
- Triple-Hop-Test
- Crossover-Hop-Test
- 6-Meter-Sprungtest auf Zeit
- Side-Hop-Test
Im Video (auf Englisch) kannst du dir den Ablauf der Tests anschauen und worauf es ankommt.
Messung der Quadrizepsstärke
Grindem et al.[2]Grindem H, Snyder-Mackler L, Moksnes H, Engebretsen L, Risberg MA. Simple decision rules can reduce reinjury risk by 84% after ACL reconstruction: the Delaware-Oslo ACL cohort study. Br J Sports Med. … Continue reading stellten in einer Untersuchung fest, dass ein Kraftdefizit des M. quadriceps das Risiko einer erneuten Knieverletzung enorm erhöhen kann. In der Studie verletzte sich ein Drittel der Patienten mit einer Kraftsymmetrie im gesunden und operierten Bein von weniger als 90 Prozent nochmal am Knie. Demgegenüber erlitten nur 12 Prozent der Probanden mit einer Symmetrie von mehr als 90 Prozent eine erneute Knieverletzung.
Sportartspezifische Drills
Wenn du die oben genannten Tests bestanden hast, kannst du die Funktionsfähigkeit deines Knies zusätzlich mit sportartspezifischen Drills testen. Das können bestimmte Schrittfolgen, Sprünge oder sonstige Bewegungsabläufe sein, die speziell für die Anforderungen der jeweiligen Sportart gelten.
Mit Geduld zur erfolgreichen Rückkehr
Die Rückkehr zum Sport ist ein Moment, dem du mit Sicherheit schon entgegenfieberst. Die verstrichene Zeit und ein gutes Gefühl sollten für dich aber nicht der Maßstab sein, um wieder in den Wettkampf einzusteigen.
Die eigene Ungeduld spielt hier eine große Rolle und man muss sich selbst oft bremsen. Sind die Leistungstests bestanden, solltest du erst einmal langsam ins Training einsteigen. Und zwar ohne Zweikämpfe & Co.
Das mag vielleicht langweilig sein, aber was ist besser: Ein paar Wochen warten und dein Knie wieder langsam an die erforderliche Belastung heranführen oder sich im ersten Training direkt wieder verletzen?
Quellen und weiterführende Links[+]
↑1 | Ardern CL, Webster KE, Taylor NF, Feller JA. Return to sport following anterior cruciate ligament reconstruction surgery: a systematic review and meta-analysis of the state of play. Br J Sports Med. 2011 Jun;45(7):596-606. doi: 10.1136/bjsm.2010.076364. Epub 2011 Mar 11. PMID: 21398310. |
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↑2 | Grindem H, Snyder-Mackler L, Moksnes H, Engebretsen L, Risberg MA. Simple decision rules can reduce reinjury risk by 84% after ACL reconstruction: the Delaware-Oslo ACL cohort study. Br J Sports Med. 2016 Jul;50(13):804-8. doi: 10.1136/bjsports-2016-096031. Epub 2016 May 9. PMID: 27162233; PMCID: PMC4912389. |