Nach der Kreuzbandrekonstruktion durchläuft jedes Sehnentransplantat mehrere Umbauphasen. Dadurch nähert sich die Kreuzbandplastik in Bezug auf seine mechanischen Eigenschaften dem ursprünglichen Kreuzband an.
Inhalt
Darum baut sich die Sehne nach der OP um
Sehnen und Bänder unterscheiden sich histologisch und biomechanisch vom originären Kreuzband.
Während Sehnen als Kraftübertrager zwischen Muskeln und Knochen fungieren und den menschlichen Körper damit überhaupt erst beweglich machen, haben Bänder die Aufgabe, unsere Gelenke zu stabilisieren und zu stützen.
Bänder bilden deshalb immer eine Verbindung zwischen zwei Knochen und schränken die Gelenkbeweglichkeit auf ein funktionell sinnvolles Maß ein. Ohne Bänder könntest du dein Kniegelenk also nahezu beliebig in verschiedene Richtungen bewegen.
Bänder verbinden Knochen miteinander. Sie schützen und stabilisieren Gelenke.
Sehnen verbinden Muskeln mit Knochen und helfen bei der Kraftübertragung.
Das Gesetz der funktionellen Anpassung
Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts hat Wilhelm Roux das Gesetz der funktionellen Anpassung beschrieben und damit die Grundlage für die spätere Forschung zur Ligamentisation gelegt. Darin sagt er, dass „sich ein Organ strukturell an eine quantitative oder qualitative Veränderung der Funktion anpasst“.
Er beobachtete, dass sich die biologischen und mechanischen Eigenschaften von Weichteilstrukturen (z.B. Bänder und Sehnen) verändern, wenn sie einer anderen Belastung oder Umgebung ausgesetzt sind.
Auch für die Kreuzbandplastik trifft das zu. Das heißt, sobald die Sehne sich in ihrer neuen Umgebung befindet, beginnen Umbauprozesse, mit denen sich das Transplantat an seine neue Aufgabe anpasst.
Genau genommen kommt es beim Umbau der Kreuzbandplastik zu zwei Heilungsprozessen. Einerseits die Einheilung der Sehne in die Bohrkanäle, andererseits die Ligamentisierung (oder Ligamentisation) der Sehne.
Die 3 Umbauphasen der Kreuzbandplastik
Der Umbauprozess einer Kreuzbandplastik lässt sich in drei Phasen einteilen[1]Shiyi Yao, Bruma Sai-Chuen Fu, Patrick Shu-Hang Yung, Graft healing after anterior cruciate ligament reconstruction (ACLR), Asia-Pacific Journal of Sports Medicine, Arthroscopy, Rehabilitation and … Continue reading:
- Frühe Phase: Transplantatnekrose und Hypozellularität
- Proliferationsphase: Neubildung von Gewebe und Revaskularisierung
- Reifungsphase: Remodellierung der Sehne und Tunneleinheilung
Die Veränderungen der Sehne führen auch nach dem Umbau nicht zu einer Wiederherstellung des nativen vorderen Kreuzbandes (VKB). Das liegt daran, dass charakteristische Unterschiede zwischen Ersatztransplantaten und einem intakten VKB verbleiben. Die Kreuzbandplastik wird also immer ein Ersatz bleiben.
Frühe Phase
Die frühe Phase beginnt direkt nach der Kreuzband-OP und dauert etwa bis zur 4. postoperativen Woche.
In dieser Zeit kommt es zu einer avaskulären Nekrose des Transplantates (Absterben der Sehne, da sie von der Gefäßversorgung getrennt ist) sowie zu einer Hypozellularität (Verminderung von Zellen). Dieser Prozess findet hauptsächlich im Zentrum der Sehne statt.
Während dieser Phase werden außerdem Zytokine (regulieren Zellwachstum und Zelldifferenzierung) freigesetzt, um die Basis für die spätere Revaskularisierung, Zellmigration und Proliferation zu legen.
Die größten Schwachstellen sind in dieser Phase die Bohrkanäle. Denn die Sehne ist in den ersten vier Wochen noch nicht richtig eingewachsen. Du solltest deshalb möglichst wenig Belastung und Zug auf die Kreuzbandplastik ausüben.
Die tote Sehne braucht die mechanische Belastung aber für den Umbau. Das heißt also auch, dass du nicht einfach nichts tun solltest. Der Fokus liegt deshalb auf passiver Bewegung und begrenztem ROM (Bewegungsumfang). Du darfst dein Knie daher beispielsweise nicht mehr als 90 Grad aktiv beugen.
Proliferationsphase
Die Proliferationsphase schließt direkt an die erste Phase an und geht bis etwa drei Monate nach der OP. In dieser Phase kommt es zu einem intensiven Zellwachstum und einer Revaskularisierung (Wiederherstellung der Durchblutung des Sehnengewebes).
Die Wiederherstellung der Durchblutung ist wichtig für die erfolgreiche Einheilung. Denn eine Durchblutung und Versorgung mit Nährstoffen ermöglicht überhaupt erst das Zellwachstum und einen Wiederaufbau der Kreuzband-Matrix.
Eine fehlerhafte Revaskularisierung führt im Umkehrschluss dazu, dass zu wenig Sauerstoff für die Zellen da ist und sie nicht wachsen können. Der Umbauprozess der Kreuzbandplastik kann somit nicht korrekt vollzogen werden.
Durch den Umbauprozess verliert die Kreuzbandplastik allerdings ihre straffe Organisation und büßt dadurch an Reißfestigkeit ein. Diesen Höhepunkt erreicht der Kreuzbandersatz im dritten Monat. Hier weist das Transplantat die schwächsten mechanischen Eigenschaften auf. In dieser Zeit musst du deshalb besonders aufpassen und darfst dein Knie nicht zu sehr beanspruchen.
Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, dass den neuen Fasern vermittelt wird, wofür sie gebraucht werden. Hältst du dein Bein nur in Schonhaltung, passen sich die Fasern an diesen Umstand an und verkleben oder verflechten sich.
Um das zu vermeiden, musst du dein Knie also regelmäßig aktiv und passiv bewegen und Reize in Richtung der Zugbeanspruchung (kontrollierte Drehungen) setzen. So richtest du die Fasern optimal auf ihre spätere Funktion aus.
In der Proliferationsphase liegt der Fokus aus diesem Grund auf Bewegungen ohne viel Belastung und im schmerzfreien Bereich sowie einer verstärkten Mobilisation. Im späteren Verlauf kannst du leichte Kräftigungsübungen in dein Reha-Programm mit aufnehmen. Von Übungen mit langen Hebeln und starker Belastung solltest du aber weiterhin absehen, um dein Heilungsprozess der Kreuzbandplastik nicht zu gefährden.
Reifungsphase
Nach drei Monaten beginnt die Reifungsphase. Hier findet die Remodellierung des Transplantates statt, mit der sich der Bandersatz den Eigenschaften eines intakten vorderen Kreuzbandes annähert.
Während dieser Phase findet auch die vollständige Tunneleinheilung statt. Das Transplantat gewinnt dadurch insgesamt an Stärke. Bei BTB-Transplantaten (mit Knochenenden) ist die Einheilung ähnlich einer Fraktureinheilung, insgesamt ist sie jedoch komplexer und dauert bis vier Monate nach der Kreuzbandriss Operation.
Die Einheilung von freien Sehnentransplantaten (Semitendinosus-Sehne) läuft etwas anders ab. Hier bildet sich zunächst fibrovaskuläres Gewebe (Sharpey-Fasern), zwischen Transplantat und Knochen und mineralisiert. Erst danach mineralisiert das Sehnengewebe und wird in den Knochen eingearbeitet.
Remodellierung und Tunneleinheilung dauern je nach Art des Transplantats unterschiedlich lang. Allotransplantate (Gewebe von einem Spender) brauchen etwa doppelt so lang wie körpereigenes Gewebe.
Mit Beginn der Reifungsphase fallen viele Einschränkungen weg und du darfst zum Beispiel deine Schiene weglassen. Dann wären theoretisch auch Lauf- und Sprungtraining wieder möglich, das das Risiko eines Ausleierns in der Reifungsphase relativ gering ist.
Allerdings sind drei Monate das absolute Minimum und viele Patienten nach dieser Zeit muskulär noch nicht so weit. Deshalb werden Lauf- und Sprungtraining in der Regel erst nach frühestens vier Monaten postoperativ in das Reha-Training integriert.
Umbauprozess erfordert lebenslanges Training
Insgesamt dauert der Umbau von einer toten Sehne zum neuen Kreuzband etwa ein bis zwei Jahre. Genau genommen erholt sich dein Knie aber nie von der Verletzung.
Denn die Umbauphasen der Kreuzbandplastik machen das Transplantat nur zu einer bandartigen Struktur. Der Fokus liegt auf „bandartig“, denn eine Kreuzbandplastik ist nie ein gleichwertiger Ersatz für ein natives Kreuzband.
Das hat zwei Gründe: Zum einen unterscheidet sich der strukturelle Aufbau des Gewebes, zum anderen wachsen auch die Rezeptoren nicht mehr nach, die die neuromuskuläre Kontrolle steuern. Ihr Verlust ist der Grund, warum du nach einem Kreuzbandriss oft wacklig auf dem verletzten Bein bist.
Diese Aufgaben müssen nun die umliegenden Muskeln übernehmen und diese brauchen regelmäßiges Training. Deshalb solltest du auch nach deiner Reha an deiner Stabilität und deinem Gleichgewicht arbeiten. So verringerst du auch das Risiko, einen erneuten Kreuzbandriss im bereits operierten Bein zu erleiden.
Quellen und weiterführende Links[+]
↑1 | Shiyi Yao, Bruma Sai-Chuen Fu, Patrick Shu-Hang Yung, Graft healing after anterior cruciate ligament reconstruction (ACLR), Asia-Pacific Journal of Sports Medicine, Arthroscopy, Rehabilitation and Technology 25 (2021) |
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