Studien haben gezeigt, dass Frauen ein 2- bis 4-fach höheres Risiko als Männer haben, einen Kreuzbandriss zu erleiden. Dabei gibt es verschiedene Vermutungen, warum ein Kreuzbandriss bei Frauen und Mädchen häufiger vorkommt.
Inhalt
Verletzungsmechanismus nicht als Ursache
Etwa 70 Prozent der Kreuzbandrisse passieren ohne Fremdeinwirkung. In den meisten Fällen bei einer Landung mit gebeugtem und nach außen gedrehtem Knie (Valgusstellung) oder bei einem unvorhergesehenen Richtungswechsel. Die Kräfte, die in diesen Situationen auf das Kniegelenk wirken, sind so groß, dass das vordere Kreuzband (VKB) reißt.
Die Verletzungsmechanismen sind dabei unabhängig vom Geschlecht. Die Art und Weise, wie sich Athletinnen verletzen, kann also nicht der Grund für das höhere Risiko eines Kreuzbandriss bei Frauen sein.
Mögliche Ursachen für einen Kreuzbandriss bei Frauen
Ärzte und Wissenschaftler vermuten ein komplexes Zusammenspiel mehrere Ursachen und Variablen, die das Risiko eines Kreuzbandriss bei Frauen erhöhen.[1]Orhtop J. The female ACL: Why is it more prone to injury?. 2016;13(2):A1-A4. Published 2016 Mar 24. doi:10.1016/S0972-978X(16)00023-4
Frauen haben eine ungünstigere Anatomie
Es ist kein Geheimnis, dass Frauen und Männer unterschiedlich gebaut sind.
Beispielsweise haben Frauen generell ein breiteres Becken. Dadurch sind die Oberschenkelknochen stärker geneigt, was die Ausrichtung der Knie und den Druck auf die Innenseite der Gelenke erhöht. Diese anatomische Gegebenheit belastet das vordere Kreuzband besonders bei Landungen oder Drehungen.
Frauen haben daneben eine schmalere interkondyläre Notch. Das ist die Knochenvertiefung zwischen den Femurkondylen (Gelenkhöcker des Oberschenkelknochens), durch welche die Kreuzbänder verlaufen. Sie wird deshalb auch als Kreuzbandhöhle bezeichnet.
Die Notch hat die Aufgabe ein Einklemmen bei Beugung oder Streckung zu verhindern. Es wird jedoch angenommen, dass eine schmalere Notch die Bewegung des Kreuzbandes insbesondere bei Drehbewegungen einschränkt.
Dieser Faktor ist genau genommen aber unabhängig vom Geschlecht. Denn eine kleinere Notch wurde generell mit einer erhöhten Rate von VKB-Verletzungen in Verbindung gebracht.
Darüber hinaus sind die Bänder von Frauen elastischer als bei Männern und geben deshalb mehr nach. Dadurch reduziert sich die Fähigkeit des Knies, Stöße zu dämpfen.
Weibliche Hormone führen zu Bandlaxität
Es ist bekannt, dass das vordere Kreuzband über Hormonrezeptoren für Östrogen und Progesteron (weibliche Sexualhormone) verfügt.
Einige Untersuchungen haben in diesem Zusammenhang ergeben, dass der Östrogenspiegel während des monatlichen Zyklus einer Frau zu einer Bandlaxität und dadurch zu einem erhöhten Kreuzbandriss-Risiko beitragen kann.
Das gilt besonders für den ersten Teil des Zyklus, also vor dem Eisprung. In dieser Phase scheinen Frauen anfälliger für Verletzungen zu sein.
Wissenschaftlicher sind sich aber einig, dass der Menstruationszyklus, wenn überhaupt, nur einen geringen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Kreuzbandruptur hat.[2]Sutton KM, Bullock JM. Anterior cruciate ligament rupture: differences between males and females. J Am Acad Orthop Surg. 2013;21(1):41–50. doi:10.5435/JAAOS-21-01-41
Andere Biomechanik begünstigt Valgusstellung
Bei Frauen wurden nicht nur in der Anatomie, sondern auch in der Biomechanik des Knies Unterschiede festgestellt. Das betrifft besonders Drehungen, Sprünge sowie Landungen und damit Bewegungen, die oft zu einer Verletzung des vorderen Kreuzbandes führen.
Wenn Frauen etwa nach einem Sprung landen, neigen sie dazu, mit geradem Knie und flachem Fuß zu landen. Dadurch überträgt sich die Aufprallenergie vollständig auf das Kniegelenk und wird nicht von den Fußballen absorbiert.
Begründen lässt sich dies damit, dass die Kniegelenke von Frauen in der Regel flexibler sind als die von Männern. Dadurch überstrecken Frauen eher ihr Knie, wodurch die umliegenden Muskeln, Sehnen und Bänder stärker belastet werden.
Frauen haben weniger Muskelkraft
Die Stabilität des Knies hängt von verschiedenen Strukturen ab. Wichtigste statische Stabilisatoren sind die Bänder im Kniegelenk, einschließlich des VKB. Dynamisch wird das Knie von den umliegenden Muskeln und Sehnen stabilisiert.
Generell haben Frauen jedoch eine schwächere Hüft- und Oberschenkelmuskulatur als Männer. Wenn sie aus einem Sprung landen oder die Richtung ändern, wird somit mehr Kraft auf das Knie ausgeübt.
Die schwächere Muskulatur beeinträchtigt zudem die Fähigkeit, Kniebewegungen gezielt zu kontrollieren. Es kommt dadurch häufiger zu einer ungünstigen Valgusstellung.
Geringere Rumpfstabilität fördert ineffiziente Bewegungen
Ein trainierter Core (dazu gehören Bauch-, Rückenstrecker- und Hüftmuskulatur) trägt zur Stabilität des Lenden-Becken-Hüft-Komplexes bei. Frauen neigen auch hier zu einer schwächeren Muskulatur.
Je besser diese jedoch trainiert ist, desto besser können die unteren Extremitäten in der kinetischen Kette arbeiten, um sich gegen abnormale Kräfte zu stabilisieren.
Wenn die Beinmuskulatur nun zu stark und der Core zu schwach ist, wird nicht genug Kraft generiert, um effiziente Bewegungen zu erzeigen. Dadurch kommt es zu abnormalen Agonist-Antagonist-Beziehungen, die das Risiko für einen Kreuzbandriss bei Frauen erhöhen.
Die neuromuskuläre Aktivierung ist schlechter
Untersuchungen zum Thema Kreuzbandriss bei Frauen haben gezeigt, dass Unterschiede in der neuromuskulären Aktivierung auch zu Kreuzbandverletzungen beitragen können.
Im Vergleich zu Männern wurde beispielsweise festgestellt, dass Frauen bei der Versteifung ihres Knies weniger effektiv sind. Die maximale Kontraktion der Kniemuskulatur verringert die anteriore Translation der Tibia jedoch signifikant im Vergleich zum entspannten Zustand. Und zwar bei Frauen und Männern.
Übersetzt heißt das: Wenn du die Muskeln deines Beines (insbesondere Oberschenkel) maximal anspannst, verschiebt sich das Schienbein deutlich weniger nach vorne als ohne diese Anspannung der Muskeln.
Wie können Frauen das Risiko einer Kreuzbandruptur reduzieren?
Das präventive Training spielt eine zentrale Rolle, um einer Verletzung des vorderen Kreuzbandes vorzubeugen. Das gilt sowohl für Frauen als auch für Männer.
Ein Teil dieser Prävention beinhaltet die Stärkung der Muskeln, die das Knie stützen. Das sind in erster Linie die vordere (Quadrizeps) und hintere (Hamstrings) Oberschenkelmuskulatur sowie die Hüftrotatoren. Aber auch deinen Rumpf solltest du trainieren.
Gleichzeitig gehört auch das neuromuskuläre Training zur Prävention von Kreuzbandrissen. Dieses hat sich in Kombination mit dem Krafttrainine als enorm effektive Maßnahme zur Vorbeugung erwiesen.[3]Voskanian N. ACL Injury prevention in female athletes: review of the literature and practical considerations in implementing an ACL prevention program. Curr Rev Musculoskelet Med. 2013;6(2):158-63. … Continue reading
Denn das neuromuskuläre Training lehrt deinen Körper sichere, stabilere und gelenkschonendere Bewegungsabläufe durchzuführen und die Stabilität der Gelenke besser zu kontrollieren.
Einen weiteren Bestandteil der Kreuzbandriss-Prävention bildet das Sprungtraining. Hier übst du richtige Sprung- und Landetechniken, damit das Knie nicht mehr die ganze Belastung auffangen muss, sondern die Aufprallenergie besser über die Fußballen aufgenommen wird.
Keine Angst vor einem Kreuzbandriss
Es gibt gewisse Dinge, die sich nur schwer beeinflussen lassen, um das Risiko einer Kreuzbandruptur zu minimieren. Das sind etwa die anatomischen und hormonellen Gegebenheiten.
Dennoch kannst du die Gefahr, einen Kreuzbandriss zu erleiden, auch als Frau deutlich reduzieren. Wichtig ist ein gezieltes Training von Muskelkraft und neuromuskulärer Kontrolle in Kombination mit Sprungübungen.
Quellen und weiterführende Links[+]
↑1 | Orhtop J. The female ACL: Why is it more prone to injury?. 2016;13(2):A1-A4. Published 2016 Mar 24. doi:10.1016/S0972-978X(16)00023-4 |
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↑2 | Sutton KM, Bullock JM. Anterior cruciate ligament rupture: differences between males and females. J Am Acad Orthop Surg. 2013;21(1):41–50. doi:10.5435/JAAOS-21-01-41 |
↑3 | Voskanian N. ACL Injury prevention in female athletes: review of the literature and practical considerations in implementing an ACL prevention program. Curr Rev Musculoskelet Med. 2013;6(2):158-63. doi:10.1007/s12178-013-9158-y |